Krieg im Körper - Die Abheilphase
Für den Fall, dass du das großartige Video von kurzgesagt zu dem Thema bereits gesehen hast, wird dieser Beitrag hier nicht viel neues beinhalten. Falls du das Video noch nicht kennst oder nicht anschauen magst oder kannst, will ich in diesem Beitrag hier mal mein Wissen dazu loswerden :D
Meine nachfolgende Erklärung und bildliche Darstellung ist natürlich höchst vereinfacht und gibt nicht mal ansatzweise die Komplexität der Anatomie oder des Prozesses wieder, der in deiner Haut und deinem Körper abläuft, wenn du frisch tätowiert bist.
Deine Haut - dein Schutzschild
Deine Haut ist dein größtes Organ und gleichsam auch dein wichtigster Schutzschild gegen Einflüsse und Bedrohungen, die von außerhalb deines Körpers existieren und die deinem Organismus gefährlich werden könnten, sollten sie in deinen Körper gelangen. Der Job deiner Haut ist hoch komplex und mannigfaltig, genau so wie ihr Aufbau.

Deine Haut, die je nach Körperstelle 0,6mm bis 6mm dick ist, besteht aus drei Schichten:
Die Epidermis (Oberhaut)
Hier ist die Zone, in der dein Körper und die Außenwelt aufeinandertreffen. Die Oberhaut besteht aus toten verklebten Hautzellen, die zusammen eine feste Schicht und so die erste Barrikade bilden. In den unteren Schichten der Oberhaut werden ständig von unten nach oben neue dieser Hautzellen gebildet, sodass dieser Schild ständig erneuert wird. Deswegen "verlierst" du am Tag auch mehrere Millionen abgestorbener Hautschüppchen, wovon du gar nicht viel mitbekommst.
Da hier der Zellerneuerungsprozess so rapide von statten geht, würde es wenig Sinn ergeben, hier die Tattoofarbe zu platzieren, denn mit den neuen Zellen, die von unten nach oben geschoben werden, würde auch das Farbpigment sehr bald mit den abgestorbenen Hautschüppchen zusammen "verschwinden".
Daher ist das Zielgebiet der Tattoofarbe:
Die Dermis (Lederhaut)
In dieser Schicht ist wahnsinnig viel los, denn hier tummeln sich z.B. Kollagenfasern, die deiner Haut Festigkeit geben, Haarfollikel, Talg- und Schweißdrüsen, Blut- bzw. Kapillargefäße, Lymphgefäße, Nervenbahnen und Sinneszellen, die Druck, Temperaturunterschiede und Schmerz wahrnehmen, und noch viel mehr.
Und genau in dieses Tohuwabohu der Haut soll das Farbpigment beim Tätowieren hin, denn hier ist der Zellerneuerungsprozess ein anderer und hier wird dein Immunsystem aktiv, und hier hält das Tattoopigment entsprechend besser. Mehr dazu aber erst gleich.
Die Subcutis (Unterhaut)
Hier befinden sich vor allem Fettzellen, aber auch Bindegewebe. Sie ist das unterliegende "Polster" deiner Haut. Wenn Pigment hierhin gerät, bleibt es selten "stabil", und "Blowout" ist häufig die Folge.
Diese drei Schichten deiner Haut verlaufen aber nicht perfekt geradlinig - wie du in meiner Illustration vielleicht erkennen kannst, sind die verschiedenen Schichten sehr wellig, und diese schwammige Trennung der Schichten erschwert das korrekte Platzieren des Farbpigments beim Tätowieren unter Umständen.

Tattoo = Wunde
Wenn deine Haut verletzt wird, so wie das auch beim Tätowieren der Fall ist, ist dieser Schutzschild durchbrochen. Um das Farbpigment bis in die Lederhaut zu transportieren, muss die Tattoonadel natürlich auch die Oberhaut durchstechen - und dabei wird das Pigment nicht nur in der Leder-, sondern auch in der Oberhaut deponiert.
Durch diese Verwundung der Haut liegen wichtige Systeme wie dein Blutgefäßsystem offen, aber auch deine Lymphe, usw. - und jetzt könnte rein theoretisch vieles in deinen Körper eindringen, was viel Schaden anrichten kann.
Dein Körper will sich dagegen natürlich wehren und deine Haut will intakt bleiben bzw. es wieder werden, um dich ebenfalls entsprechend schützen zu können - und daher wird in der ersten Sekunde, in der die Tattoonadel deine Haut durchsticht, eine ganze Reihe von Prozessen losgetreten, die diesen Schutz gewährleisten und wiederherstellen sollen.
Der Krieg beginnt

In diese Wunde kann wie gesagt vieles eindringen, was rein theoretisch schädlich sein kann - Dreck oder andere Fremdkörper, Parasiten, Bakterien und so weiter. Beim Tätowieren, das hoffentlich (und definitiv bei mir) unter höchstmöglichen Hygienevorkehrungen passiert, sind die Hauptakteure hierbei aber hauptsächlich die Farbpigmente (= Fremdkörper) und Bakterien.
Ja, auch wenn man alle Oberflächen und Geräte vor und nach jeder Benutzung gründlich reinigt und desinfiziert, kann man nie zu 100% sterile (= keim- bzw. pathogenfreie) Bedingungen schaffen - selbst in OP-Sälen nicht. Desinfektion der Haut und der Geräte vernichtet immer nur maximal zu 99,9% aller Bakterien, und ein minimaler Teil von Bakterien wird es so immer in deinen Körper schaffen, wenn du tätowiert wirst.
Die Reizung und Verwundung durch die Nadel, sowie die Farbpartikel und Bakterien aktivieren dein Immunsystem:
Das Gewebe wird stärker durchblutet und "aufgeschwemmt", sodass so schon ein Teil der Eindringlinge aus der Wunde geschwemmt werden kann. Dadurch beginnt der tätowierte Bereich zu "saften" und zu bluten, schwillt an und rötet sich. Viele der Farbpigmente, die klein genug sind, werden so auch von deinem Lymphsystem direkt abtransportiert, und ein Großteil davon wird über deine Nieren wieder aus deinem Körper ausgeschieden - viele der Pigmente sammeln sich aber auch in deinen Lymphknoten und bleiben dort ein Leben lang.
Durch das Aufschwemmen des Gewebes und seine erhöhte Durchblutung können auch deine Immunzellen, darunter vor allem die Makrophagen (die zu den weißen Blutkörperchen / Lymphozyten gehören) besser ihre Arbeit verrichten. Ihr Job ist es, die Bakterien und Fremdkörper daran zu hindern, tiefer in deinen Körper einzudringen - also attackieren die Makrophagen diese mit Säure und versuchen sie "aufzufressen".
Bei Bakterien klappt das in der Regel wunderbar, und auch bei einigen der Farbpigmente - die sind jedoch zum Großteil zu groß, um von den Makrophagen aufgefressen zu werden, und so bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich an den Partikeln "festzuklammern" und sie so an eine tiefere Wanderung in deinen Körper zu hindern. Durch dieses Festklammern werden die Farbpartikel an Ort und Stelle in deiner Haut verankert - und erst dadurch bleibt das Tattoo dort, wo es von der Nadel platziert wurde.
Wenn du also dein Tattoo ansiehst, siehst du auch die (zugegebenermaßen mit bloßem Auge nicht sichtbaren) Makrophagen, die dein Tattoo festhalten. Danke den Kleinen bei der Gelegenheit doch gleich mal :D
Der Wiederaufbau

Während all dies passiert, machen sich bereits spezielle Zellen daran, die Wunde zu verschließen. Bis die Wunde "geschlossen" ist, können einige Stunden bis wenige Tage vergehen. Die Blutung wird gestoppt, neue Zellen bilden sich, und die Wunde wird repariert, während dein Immunsystem weiterhin daran arbeitet, die Fremdkörper (Pigment) unter Kontrolle zu bekommen und zu verankern.
Die verletzte Oberhaut stirbt und trocknet ab, und beginnt sich nach wenigen Tagen wie bei einem Sonnenbrand an zu "schälen", während direkt darunter bereits neue Hautzellen der Epidermis nachgeschoben werden. Damit verschwinden auch die Farbpigmente, die in der Oberhaut waren, doch dies bedeutet auch, dass der hauteigene Sonnenschutz durch die dort jetzt fehlende Oberhautschicht nicht mehr gewährleistet ist. Deswegen sind frische Tattoos extra anfällig gegen UV-Strahlung.
Die nachwachsende Schicht der Epidermis legt sich als neue Schicht über die Dermis - und damit über das Tattoo. Dadurch sehen verheilte Tattoos zwangsläufig auch immer etwas "blasser" aus als frisch gestochene.
Nach einiger Zeit all dieser Prozesse ist die Wundheilung abgeschlossen. Die Wunde wurde mit neuen Hautzellen, Kollagenfasern und Co. verschlossen, die Makrophagen halten das Farbpigment an Ort und Stelle, die Oberhaut hat sich erneuert und das Tattoo ist jetzt "fertig".
Und danach?

Da diese Zellerneuerungsprozesse und die Arbeit der Makrophagen aber nie aufhören, verändert sich das Tattoo über die Zeit.
Makrophagen leben nicht ewig, sie sterben nach und nach ab und werden durch neue Makrophagen ersetzt - diese halten das Farbpigment aber nie exakt genau an der Stelle fest, wo ihr Vorgänger dies tat. Dadurch "verschwimmen" Konturen und Linien im Laufe der Zeit.
UV-Strahlung "nagt" neben den Makrophagen ebenfalls an den Pigmenten - dadurch werden sie angegriffen und zerkleinert, und die Makrophagen und die Lymphbahnen haben es wieder leichter, diese kleineren Partikel zu zersetzen oder abzutransportieren.
Auch dadurch "verblassen" Tattoos im Laufe der Jahre, und dieser Prozess hört nie auf - weswegen man den Alterungsprozess von Tattoos nicht aufhalten oder rückgängig machen kann (man kann ihn nur mittels Sonnenschutz verlangsamen). Man kann Tattoos nur auffrischen, und damit beginnt dieser ganze Prozess erneut.